Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Poschmann, Marion

Laubwerk

Untertitel
Herausgegeben von Crespo Foundation
Beschreibung

Wenn sich in Japan, in Kanada oder den Neuenglandstaaten die Blätter herbstlich verfärben, machen sich unzählige Menschen auf den Weg, um dieses Naturschauspiel zu bewundern. „Leef Peeping“ oder „Momijigari“ (japanische Bezeichnung für die Tradition der Bewunderung des sich färbenden Laubs) sind in den jeweiligen Gesellschaften fest verankert und verdeutlichen den Wert und die Relevanz von Naturschauspielen. Wenn man in Deutschland den Begriff Herbstlaub googelt, titelt der erste Eintrag: „Entstehung, Verwertung, Kompostierung, Entsorgung.“

Poschmanns Essay, für den sie im Juni in Frankfurt den Wortmeldungen-Literaturpreis 2021 erhielt, kann man als eine „literarische Vision für eine klimagerechte Zukunft“ lesen, so die Jury des Wortmeldungen-Preises. Dass sie dabei gänzlich ohne den sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger oder eine moralisierende Ansprache auskommt, macht ihr Buch zu einem anregenden Kleinod in diesem Lese-Sommer.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verbrecher Verlag, 2021
Format
Gebunden
Seiten
69 Seiten
ISBN/EAN
978-3-95732-489-4
Preis
12,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Marion Poschmann (1969 in Essen) studierte Germanistik, Philosophie und Slawistik und lebt in Berlin. Sie erhielt zahlriche Auszeichnungen für Lyrik und Prosa, zuletzt 2021 den Bremer Literaturpreis für den Gedichtband “Nimbus”. 2019 hielt sie die Zürcher Poetikvorlesungen und 2020 hatte sie die Kieler Liliencron-Poetikdozentur inne. Ihr Roman “Die Kieferninseln” stand 2017 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis und 2019 auf der Shortlist des Man Booker International Prize.

Zum Buch:

Wenn sich in Japan, in Kanada oder den Neuenglandstaaten die Blätter herbstlich verfärben, machen sich unzählige Menschen auf den Weg, um dieses Naturschauspiel zu bewundern. „Leef Peeping“ oder „Momijigari“ (japanische Bezeichnung für die Tradition der Bewunderung des sich färbenden Laubs) sind in den jeweiligen Gesellschaften fest verankert und verdeutlichen den Wert und die Relevanz von Naturschauspielen.

Wenn man in Deutschland den Begriff Herbstlaub googelt, titelt der erste Eintrag: „Entstehung, Verwertung, Kompostierung, Entsorgung.“ Bei uns gibt es keinen vergleichbaren Laubenthusiasmus oder gar Laubtourismus wie in Kanada oder Japan, wenn man mal von Kutschfahrten in herbstliche Weinberge absieht, deren Fokus wohl eher auf dem Wein als auf den sich färbenden Blättern liegt. Der deutsche Umgang mit fallenden Blättern scheint in erster Linie pragmatisch und ordnend. Und das obwohl die Pracht unseres goldenen Oktobers eine zwar temporäre, dafür jedoch allen Menschen zugängliche Quelle von Schönheit und Erfüllung sein könnte.

Marion Poschmanns Essay Laubwerk, für den sie im Juni in Frankfurt den Wortmeldungen-Literaturpreis 2021 erhielt, besteht aus mosaikartig zusammengefügten Passagen, die den Baum und seine Blätter in unterschiedliche Kontexte setzt: Eichenlaub auf unseren Centmünzen, Baumgedichte in der Lyrik, die Verwendung einer Baumstruktur in Mathematik und Informatik, aber auch der Baum als Großstadtgefahr. Gerade der Baum in der Großstadt, als natürliches Element direkt vor unserer Haustür und in menschengemachtem Umfeld, bietet die Möglichkeit zur Schärfung unserer Wahrnehmung, wie die Autorin schreibt. Da immer öfter bestimmte Baumarten durch steigende Temperaturen in ihrem Bestand bedroht sind, wird nach Ersatz unter den widerstandsfähigeren gesucht. Bäume werden in diesem Zusammenhang „erfolgreich“ genannt, wenn sie an ihrem jeweiligen Standort überleben. Eine solche Beobachtung hallt nach.

Eine neue Romantisierung unserer Weltsicht zur Verhinderung einer ökologischen Katastrophe ist für die Autorin unumgänglich. Romantisierung bedeutet bei Poschmann nicht Verklärung oder Weichzeichnung, sondern bedeutet, uns selbst als Individuum und Gesellschaft wieder ins Verhältnis zu unserer Umgebung zu setzen. Unseren Blick auf Natur in dieser Weise zu verändern, ist dabei kein Luxus einer Wohlstandsgesellschaft, sondern vielmehr eine Forderung der Vernunft.

„Die Fragilität und Einzigartigkeit lebender Wesen wahrzunehmen und ihnen mit Freundlichkeit und Respekt zu begegnen“, ist hier eben kein naiver Appell euphorischer Umweltaktivisten, sondern längst vorhandenes Wissen, das nur in Vergessenheit geraten ist. Dass die Autorin hier auch Bezüge zu philosophischen Strömungen des 18. und 19. Jahrhundert herstellt, kann es erleichtern, die Dringlichkeit tiefgreifender Veränderungen denen nahezubringen, für die diese Notwendigkeit eher bedrohlich wirkt.

Poschmanns Essay kann man als eine „literarische Vision für eine klimagerechte Zukunft“ lesen, so die Jury des Wortmeldungen-Preises. Dass sie dabei gänzlich ohne den sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger oder eine moralisierende Ansprache auskommt, macht ihr Buch zu einem anregenden Kleinod in diesem Lese-Sommer. Der in Berlin ansässige Verbrecher Verlag hat aus den kritischen Kurztexten der Wortmeldungen-Preisträger eine ansprechende Reihe gemacht, die schön gebunden und in kleinem Format garantiert in jede Hand- oder Reisetasche passt. So ist sichergestellt, dass man Laubwerk immer wieder in die Hand nehmen und den Blick in und auf die Natur schärfen kann, egal, wo wir gerade sind.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt