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Autor
Renz, Werner; Farin, Michael (Hg)

"Von Gott und der Welt verlassen"

Untertitel
Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan.
Beschreibung

Fritz Bauer (1903 – 1968), Jude, Sozialdemokrat, Justizjurist, von den Nazis 1936 vertrieben, 1949 aus dem Exil zurückgekehrt, um am Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens tatkräftig mitzuwirken, setzte seine Hoffnungen auf die junge Generation. In Thomas Harlan (1929 – 2010), dem rebellischen Sohn des Nazi-Regisseurs Veit Harlan (1899 – 1964), der sich zeitlebens an der NS-Vergangenheit abarbeitete, sah Bauer ein Vorbild für die Jugend. Er schloss Freundschaft mit Harlan und unterstützte den Schriftsteller nach Kräften. Seine Briefe an Thomas Harlan zählen zu den wenigen erhaltenen Schreiben dieser Art von Bauers Hand, sie zeigen einen bis heute weithin unbekannten, privaten Bauer.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Campus Verlag, 2015
Format
Gebunden
Seiten
299 Seiten
ISBN/EAN
9783593504681
Preis
29,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Werner Renz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut. Michael Farin ist Autor und Verleger.

Zum Buch:

Der Jurist Fritz Bauer (1903-1968) war lange nur einem Fachpublikum bekannt. Das änderte sich in den letzten Jahren. 1995 – 50 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus – wurde das Fritz Bauer Institut gegründet, und zu seinem 100. Todestag gedachte das Jüdische Museum in Frankfurt Bauers mit einer Ausstellung. Zwei Biografien zu seinem Leben und Werk von Irmtrud Wojak und Ronen Steinke folgten. Lars Kraume drehte einen preisgekrönten Film: „Der Staat gegen Fritz Bauer“.

Seither tobt eine ebenso provinzielle wie schäbige Posse zur Instrumentalisierung des Linken Fritz Bauers. Dieser musste 1936 ins Exil, weil er jüdischer Herkunft war, lebte aber immer religionsfrei. Bauer ging im Exil eine Schein-„Ehe“ mit einer Dänin ein, lebte aber kaum mit ihr zusammen. Starke Indizien sprechen für Bauers Homosexualität, aber er tat – aus guten Gründen im bigotten Adenauer-Staat – alles, um dies verbergen.

Werner Renz hat eine annotierte, mustergültige Edition von Fritz Bauers Briefen an Thomas Harlan unter dem Titel „Von Gott und der Welt verlassen“ (so Bauer über sich selbst) herausgegeben. Der Titel trifft die komplexe Persönlichkeit Bauers, der wenigen vertraute, mit wenigen befreundet war und mit seiner Haushälterin ein einsames Privatleben führte und sich ganz seiner Arbeit, ja seiner rechtspolitischen Mission, widmete – dem Kampf gegen die nicht einmal halbherzige juristische Aufklärung der Nazi-Verbrechen, worauf sich die Arbeit von Wojak konzentriert.

Die arbeitsteilig durchgeführten Massenmorde mussten den Tätern einzeln nachgewiesen werden, was mangels Überlebenden, Zeugen und Akten nur schwer war. Bauer empfand die höchstrichterlich verordnete „Atomisierung des Gewaltgeschehens“ als „Korsett“ und seinem Ziel einer „neuen Pädagogik der Menschlichkeit“ und des „sozialistischen Idealismus“ diametral entgegengesetzt. Bauer setzte seine Hoffnungen auf die Generation junger Deutscher. 1960 lernte er in Thomas Harlan (1929-2010) einen solchen Deutschen kennen. Thomas Harlan war der Sohn von Veit Harlan (1899-1964), der u.a. den Nazi-Film „Jud Süß“ (1940) gedreht hatte. Der Sohn distanzierte sich von seinem Vater und begann eine private Jagd auf ehemalige Nazis in der BRD. Er stellte 2000 Strafanzeigen und recherchierte auf eigene Faust in polnischen Archiven, bis er auf polnische Nazi-Kollaborateure stieß und prompt verhaftet wurde. Auf Intervention des italienischen Kommunisten Luigi Longo und des linken Verlegers Giangiacomo Feltrinelli kam er frei. Nach Bauers Tod heiratete Harlan 1969 Luisa Orioli di Lajano und wurde bekannt mit Dokumentarfilmen über den Vietnamkrieg, den Putsch in Chile und die Revolution in Portugal. Ein Film über die RAF und die Schleyer-Entführung von 1980 konnte erst 1984 gezeigt werden.

Bauers erster Brief an Harlan vom 1.4.1962 markiert den Beginn einer rührenden Freundschaft. Vorsichtig und mit „Verbundenheit und Anhänglichkeit“ bot er Harland seine Hilfe und Unterstützung an im Kampf gegen Alt-Nazis. Bauer gesteht dem 23 Jahre jüngeren Harlan, dass er jemanden brauche, „bei dem ich mich über die Trostlosigkeiten ‘ausweinen‘ kann.“ Harlan lebte damals in Ascona, Bauer besuchte ihn gelegentlich und schätzte dabei „viel herzliche Sozialität und Solidarität“ sowie „seelsorgerische Ratschläge“.

Erst im Sommer 1965 zog ein vertrauliches „Du“ in die zarte Freundschaft zwischen den beiden ein. Geprägt wurde die Freundschaft jedoch von einem Gefälle. Bauer ist der Hilfs- und Zuneigungsbedürftige, der an zahlreichen Wochenenden Dutzende Male versuchte, Harlan zu erreichen, der sich verleugnen ließ. Einmal nur, als Bauer von Harlans Freundin erfährt, rutschte ihm ein Satz heraus, der die tragische Einseitigkeit der Beziehung in Umrissen erkennen lässt: Bauer schreibt ungeschützt, „meine platonischen Wünsche sind schal angesichts der animalischen Wärme des Tessin.“

Bei einem gemeinsamen Urlaub mit Harlan in Tunesien holte sich Bauer einen Sonnenbrand, den Harlan nach einem „afrikanischen Hausrezept“ mit dem Einreiben frischer Tomaten behandelte, worauf Bauer gestanden haben soll, dass es „das dritte Mal in seinem Leben sei, dass er von einem Menschen berührt werde“ (Harlan 2007). – Der Briefwechsel ist ein anrührendes Dokument von Freundschaft und Trostlosigkeit.

Rudolf Walther, Frankfurt am Main