Alle Empfehlungen

Drucken

Alle Empfehlungen

Autor
Held, Monika

Der Schrecken verliert sich vor Ort

Untertitel
Roman
Beschreibung

Monika Held erzählt in diesem Roman die Liebesgeschichte von Lena und Heiner. Diese Liebe entwickelt sich im Netzwerk der Überlebenden von Auschwitz. Heiners Existenz ist so eng mit den Kameraden aus seiner Zeit als politischer Häftling in Auschwitz verwoben, dass jede Nähe zu ihm nur innerhalb dieses Rahmens möglich ist. Darauf lässt sich Lena von Anfang an ein. So führt Monika Held die Leser in die Lebenszusammenhänge der Überlebenden von Auschwitz. Dieser Kosmos, die Art und Weise, in der Überlebende ihr Leben zugleich in der Gegenwart und in der Erinnerung an die Zeit im Lager führen, ist das dominante Thema des Romans. Die Gegenwart der Vergangenheit des KZ-Häftlings durchfärbt jeden Aspekt des Alltags, auch die Liebe zwischen Lena und Heiner.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Eichborn Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
272 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8479-0529-5
Preis
19,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Monika Held: Aufgewachsen in Hamburg und Cuxhaven. Lehre als Verlagskauffrau, Volontariat bei der Hannoverschen Presse. Arbeit fürs Radio, Autorin der Zeitschrift Brigitte. Für ihre publizistische Arbeit über das Kriegsrecht in Polen und die Hilfstransporte zu den Überlebenden von Auschwitz wurde sie mit der polnischen Solidarnosc-Medaille ausgezeichnet. „Der Schrecken verliert sich vor Ort“ ist ihr dritter Roman. Bei Eichborn erschienen „Augenbilder“ und „Melodie für einen schönen Mann“. Monika Held lebt in Frankfurt am Main.

Zum Buch:

Monika Held erzählt in diesem Roman die Liebesgeschichte von Lena und Heiner. Diese Liebe entwickelt sich im Netzwerk der Überlebenden von Auschwitz. Heiners Existenz ist so eng mit den Kameraden aus seiner Zeit als politischer Häftling in Auschwitz verwoben, dass jede Nähe zu ihm nur innerhalb dieses Rahmens möglich ist. Darauf lässt sich Lena von Anfang an ein. So führt Monika Held die Leser in die Lebenszusammenhänge der Überlebenden von Auschwitz. Dieser Kosmos, die Art und Weise, in der Überlebende ihr Leben zugleich in der Gegenwart und in der Erinnerung an die Zeit im Lager führen, ist das dominante Thema des Romans. Die Gegenwart der Vergangenheit des KZ-Häftlings durchfärbt jeden Aspekt des Alltags, auch die Liebe zwischen Lena und Heiner.

Ihre Beziehung beginnt während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Heiner sagt als Zeuge aus und bricht unter der Anstrengung zusammen. Lena hilft ihm auf und wird seine Stütze in den Tagen, an denen er am Prozess teilnimmt. Währenddessen entsteht ihre Liebesbeziehung; vorsichtig nähern sie sich an. Heiner ist grundsätzlich unsicher den Menschen gegenüber – ohne Vorbehalt vertraut er nur seinen Kameraden aus Auschwitz.
Später, als die beiden bereits gemeinsam in einer deutschen Vorstadtsiedlung am Waldrand leben, lernt Lena diese Kameraden kennen. Jeder dieser Männer geht auf andere Weise mit seiner Erinnerung und seiner seelischen Beschädigung durch die Zeit der KZ-Haft um. Jeder hat nach Auschwitz ein vollkommen anderes Leben geführt, andere politische Positionen; es liegt nicht nahe, dass Heiner oder gar Lena ein vertrautes Verhältnis zu diesen Menschen haben. Aber die gemeinsame Erfahrung der Unmenschlichkeit ist der Boden einer bedingungslosen Nähe, in deren Kraftfeld Lena als Liebste des Kameraden Heiner zugelassen ist. Das wird immer mehr zum Kern dieser Liebesbeziehung.

Die Leser lernen auf diese Weise die Welt der Überlebenden kennen, nicht als einen Kosmos des Leidens oder des politischen Kampfes um die Anerkennung dieses Leidens – obwohl beides immer präsent ist –, sondern als Nähe, die durch keine andere Erfahrung gestört werden kann. Diese Männer haben einander in der ständigen Entwürdigung und Todesnot des KZ gerettet. Das erzeugt eine bedingungslose emotionale Kraft der Widerständigkeit und des Zusammenhaltes. Diesen Aspekt des Überlebens übersetzt Monika Held in eine Erzählung, ohne im Detail vom Lager zu berichten. Im Gegenteil sind die Erzählungen der Überlebenden bereits geronnen, sie wiederholen die immer gleichen Geschichten, nicht zuletzt als Zeitzeugen vor jungen Zuhörern, als Zeugen vor Gericht oder in politischen Versammlungen. Die Emotionen, die sie auf der einen Seite als Albträume und Ängste quälen, erzeugen auf der anderen Seite die Gemeinschaft der Auschwitzer, die sie bei jedem Zusammentreffen neu erleben.

Die Figur der Lena repräsentiert die Außenstehenden, ihre Erfahrung, wenn sie in den Kosmos der Überlebenden blicken. Trotz aller Liebe bleibt sie fremd, bleibt ihr auch ihr Liebster fremd. Es gibt kein Nachvollziehen dieser Erfahrungen. Und für den Überlebenden gibt es kein „Durcharbeiten“ und Hintersichlassen. Er muss immer wieder seine und seiner Kameraden Geschichte erzählen, so wie am Ende des Romans am Heiligen Abend in einer Kirche. Aus seiner Sicht darf sie nicht vergessen werden, weil sonst die Gemeinschaft der Überlebenden verschwinden würde.
„Der Schrecken verliert sich vor Ort“ handelt von den Erzählungen über das Konzentrationslager, von der unendlichen Mühe des Weiterlebens, von der Arbeit an Beziehungen zwischen ehemaligen Häftlingen und Nachgeborenen. Die vielfältigen Themen, die damit angesprochen sind, werden durch die Erzählung der reflektierten und widerborstigen Liebe fassbar, die Lena mit Heiner verbindet.

Gottfried Kößler, Frankfurt am Main