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Fürsorge

Autor
Stelling, Anke

Fürsorge

Untertitel
Roman
Beschreibung

Seit Nadja ihren Sohn Mario nach der Geburt ihrer Mutter zur Pflege überlassen hat, um sich weiter auf ihre internationale Karriere als Balletttänzerin zu konzentrieren, hat sie ihn kaum gesehen. Jetzt, am Ende ihrer professionellen Laufbahn, wagt sie die Rückkehr in die trostlose Berliner Wohnsiedlung, in der sie aufgewachsen ist. Mit Mario verbindet sie schnell ihre gemeinsame Leidenschaft für den Sport. Doch bald schon stellt sich die Frage nach der Stellung, die die Körperlichkeit in der Beziehung zwischen Mutter und Sohn einnehmen darf.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verbrecher Verlag, 2017
Seiten
176
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-95732-232-6
Preis
19,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Anke Stelling, 1971 in Ulm geboren, absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2004 wurde ihr gemeinsam mit Robby Dannenberg verfasster Roman „Gisela“ verfilmt, 2010 die Erzählung „Glückliche Fügung“.

Sie stand mit ihrem im Verbrecher Verlag erschienenen Roman „Bodentiefe Fenster“ (2015) auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2015. Zudem stand der Roman auf der Hotlist 2015 der unabhängigen Verlage und wurde mit dem Melusine-Huss-Preis 2015 ausgezeichnet.

Zum Buch:

Mario ist sechzehn und sitzt sein letztes Schuljahr ab. Das einzige, was seinem Leben Struktur gibt, ist seine Arbeit als Trainer im Fitnessstudio; das einzige, zu dem er eine wirkliche Beziehung aufbauen kann, ist sein Körper. Auch für Nadja haben zwischenmenschliche Beziehungen nie eine Rolle gespielt; als weltbekannter Ballettstar gab es für sie ihr Leben lang nichts anderes als das Tanzen. Aber mit Ende Dreißig bricht genau das nach und nach weg. Während sie in der Ballettschule ihre „Schäfchen“ unterrichtet, lässt ihr eigener Körper sie immer mehr im Stich. Erst mit Mario und der neuen sexuellen und körperlichen Herausforderung findet sie zu alter Kraft zurück. Für beide hat nie etwas Anderes gezählt als die vollständige physische Disziplinierung, beide hatten nie eine wirkliche Beziehung zu ihrer Familie, das heißt zu einander, denn Mario ist Nadjas Sohn.

Fürsorge war eine Auftragsarbeit, deren Themensetzung Anke Stelling nach eigener Aussage zunächst zurückschrecken ließ. Doch dann überwog wohl die Neugier. Die Autorin, die bereits mit ihrem Roman Bodentiefe Fenster begeisterte, entschied sich, diese Fremdheit ins Schreiben mit einfließen zu lassen und sich ihr so zu nähern. Handelte es sich bei ihrem ersten Roman um eine radikale Innensicht, bleibt Stelling in diesem Fall erzählerisch auf Abstand. Sie lässt die Geschichte von einer Unbeteiligten erzählen, die Nadja nur ein einziges Mal getroffen hat. Und doch weiß sie scheinbar alles über ihr inzestuöses Verhältnis mit Mario, bis in die intimsten Details. Worum handelt es sich also? Ist sie manische Stalkerin oder wird Nadja nur zur Identifikationsfigur ihrer eigenen verbotenen Phantasie?

Nicht nur auf der Ebene der Erzählerin, auch in der Beziehung von Nadja und Mario geht es immer wieder um die Unterscheidung von Innen und Außen. Ab wann wird die Berührung zwischen Mutter und Sohn zum Tabu? Wo liegt die Grenze zwischen körperlicher Disziplinierung und Sex, wenn beide doch ein ekstatisches Moment in sich tragen?. Gibt es einen Unterschied zwischen Körper und Emotion, zwischen Innen und Außen? In Fürsorge gehen Distanz und Nähe auf allen Ebenen ein untrennbares, symbiotisches Verhältnis ein.

Anke Stelling gelingt auch in diesem Roman ein ebenso komplexer wie lebendiger Text, der nicht aufhört, sich selbst und seine LeserInnen auf die Probe zu stellen. Fürsorge beschreibt am Thema des absoluten Tabubruchs die Alltäglichkeit emotionaler, gesellschaftlicher Vereinsamung und einem verloren gegangenen Verhältnis zur nicht funktionalisierten Körperlichkeit.

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt