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Brodecks Bericht

Autor
Larcenet, Manu

Brodecks Bericht

Untertitel
Nach einem Roman von Philippe Claudel. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Beschreibung

Mit Brodecks Bericht legt Larcenet den bekannten gleichnamigen Roman von Philippe Claudel als Comic vor. In Claudels Roman von 2007 wird der Schreiber Brodeck vom Dorfvorsteher aufgefordert, einen Bericht über den Tod „des Anderen“ zu verfassen. „Einen Bericht, keinen Roman“, wie ihm ausdrücklich aufgetragen wird.

Literaturadaptionen müssen sich immer fragen lassen, ob die Übertragung in eine andere Kunstform etwas Besonderes, etwas Eigenes zum Verständnis des Werkes beiträgt. Larcenets Arbeit besitzt bei ihrer Anverwandlung eine vollkommene Eigenständigkeit – und Berechtigung. Die Zeichnungen sind fantastisch. Der Roman erfährt eine Rhythmisierung, die den Charakteren, der Natur, der Gewalt eine eigene Dringlichkeit verleiht.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Reprodukt Verlag, 2017
Seiten
328
Format
Gebunden in Schuber
ISBN/EAN
978-3-95640-132-9
Preis
39,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Emmanuel “Manu” Larcenet wurde am 6. Mai 1969 in Issy-les-Moulineaux, Frankreich, geboren. Er studierte Grafik und Angewandte Kunst und versuchte sich mit einigem Erfolg als Sänger einer Punk-Rock-Band. Erste Zeichnungen veröffentlichte Larcenet folgerichtig in Musik-Fanzines, bevor er 1994 seine professionelle Comic-Karriere mit Kurzgeschichten für das Magazin “Fluide Glacial” begann. Ab 1997 folgten Veröffentlichungen im belgischen “Spirou”-Magazin.

Manu Larcenets Comics verweigern sich jeder Schublade und reichen vom Kinder-Comic über humoristische und satirische Titel bis hin zu fantastischen Geschichten. Mehr noch als in seinen kommerziellen Arbeiten, die Larcenet mittlerweile bei nahezu allen relevanten franko-belgischen Verlagen veröffentlicht.

Philippe Claudel, geboren 1962 in Dombasle in Lothringen, wo er noch heute als Schriftsteller lebt. Hierzulande gelang ihm 2004 mit “Die grauen Seelen” (Rowohlt) der Durchbruch – auch “Brodecks Bericht” ist bei Rowohlt in deutscher Sprache veröffentlicht worden. Es folgten ein Erzählungsband und weitere Romane, zuletzt erschien “Die Untersuchung”. Philippe Claudels Bücher werden von der Presse gefeiert und sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden. Auch als Regisseur ist er aktiv: 2008 lief auf der Berlinale sein Film “So viele Jahre liebe ich dich”.

Zum Buch:

Manu Larcenet ist im Comicland Frankreich ein Star. Seine düstere Trilogie Blast hat ihm auch hier bei uns Bewunderung eingebracht. Die autobiografische Serie Mein alltäglicher Kampf erzählt in ganz anderem Ton und ganz anderer Farbigkeit vom Kampf des Künstlers mit seinen Geschichten und seinem Leben. Die neue Graphic Novel von Larcenet schlägt erneut eine andere Richtung ein.

Mit Brodecks Bericht legt Larcenet den bekannten gleichnamigen Roman von Philippe Claudel als Comic vor. In Claudels Roman von 2007 wird der Schreiber Brodeck vom Dorfvorsteher aufgefordert, einen Bericht über den Tod „des Anderen“ zu verfassen. „Einen Bericht, keinen Roman“, wie ihm ausdrücklich aufgetragen wird. Claudel siedelt dieses Dorf in einem abgelegenen Landstrich in einer fiktiven Gegend an, der dort gesprochene Dialekt weckt durchaus Assoziationen an das Elsass oder an Südtirol. Brodeck kann nicht berichten, ohne seine eigene Geschichte, zu erzählen. Er schildert die Verschleppung in ein Konzentrationslager, nachdem er im Dorf an die Besatzer verraten wurde. Seine Frau verliert über diesem Ereignis ihre Sprache und er den Glauben an das Humane. Einzig in seiner Tochter kann er noch Hoffnung entdecken – und in der Person des „Anderen“, der eines Tages im Dorf auftaucht.

Brodecks Bericht zeigt Larcenet als überragenden Zeichner. Sein Spektrum reicht von naturalistischen Tierzeichnungen bis zu der schwarzen, schattenhaften und doch schockierend präzisen Schilderung des Grauens im Gefangenenlager. Die Täter erinnern fast an Art Spiegelmans Katzen in Maus, die Dorfbewohner, kaum jemals lächelnd, wirken undurchdringlich, fast verwachsen mit ihrer Kleidung. Nur Brodecks Tochter wirkt frei, bewegt sich leicht und optimistisch. Die Buchgestaltung gibt den Bildern die Fläche, die sie brauchen, und dem strengen, knappen Text einen Resonanzraum, in den man eintritt wie in eine unheimliche Welt.

Literaturadaptionen müssen sich immer fragen lassen, ob die Übertragung in eine andere Kunstform etwas Besonderes, etwas Eigenes zum Verständnis des Werkes beiträgt. Larcenets Arbeit besitzt bei ihrer Anverwandlung eine vollkommene Eigenständigkeit – und Berechtigung. Die Zeichnungen sind fantastisch. Der Roman erfährt eine Rhythmisierung, die den Charakteren, der Natur, der Gewalt eine eigene Dringlichkeit verleiht. Lange Passagen sind ohne Text, sie bestimmen den Ton, die Stimmung.

„Ich werde ‘Ich‘ sagen, wie in meinen Berichten, weil ich anders nicht zu erzählen weiß“, sagt Brodeck, als er den Auftrag der Dorfbewohner annimmt. In diesem Satz verdichtet sich die Konstruktion dieses grafischen Romanes. Die Geschichte des Dorfes ist Brodecks Geschichte, er ist ihr Opfer, er hat erlitten, was er beschreibt, und stellt sich doch nicht außerhalb der Schuld.

Jakob Hoffmann, Frankfurt am Main