Zum Buch:
Der renommierte Arabist und Soziologe analysiert seit längerem den Islamismus und die vielgestaltige dschihadistische Szene. Die Studie erhellt die Hintergründe und den politischen Kontext der jüngsten Terrorwelle. Kepel spricht von der dritten Generation der Dschihadisten. Die erste wollte die Massen in den muslimischen Ländern aufwiegeln, die zweite wollte den Kampf in die USA tragen. Die dritte nun folgt einem Drehbuch, das Abu Musab al-Suri 2005 ins Internet gestellt hat: ein über 1.500 Seiten langer „Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand.“ Er sah anstelle der hierarchischen al-Qaida kleine, selbstständig agierende Terrorzellen vor. Kepel zeigt en détail, wie die Dschihadisten diese Strategie in Taten umsetzen. Und er erhellt die dichten Verbindungen zwischen dem „Islamischen Staat“ und islamistischen Gruppen in den Banlieus, die um die Deutungshoheit unter Frankreichs Muslimen wetteifern und Rekruten für den Dschihad rekrutieren. Der IS und der „hausgemachte Terrorismus“ in Frankreich lassen sich nicht säuberlich trennen. Letzterer hat einige spezifische Züge: der verdrängte Algerienkrieg wirkt nach. Gleichwohl steht ganz Europa, das al-Suri ausdrücklich zum Schlachtfeld erklärte, im Fadenkreuz. Die Täter des 13. November bejubelten das „gesegnete Gemetzel an der französischen Kreuzfahrernation in Paris, dem größten Träger des Kreuzes in Europa.“ Sie trachten danach, unsere Gesellschaften in Panik zu versetzen, die Integration der Muslime zu unterbinden und diese in eine identitäre Abschottung zu treiben. So geraten vernachlässigte und verwahrloste Vorstädte in die Zange: auf der einen Seite der Nationalismus der extremen Rechten, auf der anderen ein fundamentalistischer Islam, der die Zerstörung Europas durch den Bürgerkrieg propagiert. Während die Linke gespalten ist zwischen radikalem Laizismus und denen, die jede Kritik am Islam ablehnen, ist die ethno-konfessionelle Kluft im Land bedrohlich weit fortgeschritten. Jeder Anschlag treibt dem Front National, der– wie einst die KPF – als „Tribunat“ einer mythischen Plebs fungiert, Wähler in die Arme. Meinungsforscher bescheinigen ihm gute Aussichten für die kommende Präsidentschaftswahl.
Die Aktualität dieses informativen Buches steht außer Frage. Doch hat sie ihren Preis, denn zahllose Redundanzen trüben die Lesefreude. Die instruktive Sachkenntnis und der Detailreichtum wiegen das allerdings wieder auf.
Bruno Schoch, Frankfurt am Main