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Autor
Menner, Simon

Simon Menner. Top Secret

Untertitel
Bilder aus den Archiven der Staatssicherheit. Aus dem Englischen von Michael Wolfson
Beschreibung

Ehemalige Stasi-Agenten bei ihrer täglichen Arbeit. Ein Jux. Auf den ersten Blick jedenfalls. Auf den zweiten und dritten sicherlich auch noch. Bis dann der Groschen fällt und man sich wieder erinnert, womit diese Handlanger eines totalitären Staates ihre Brötchen verdienten. Simon Menner hat sich über zwei Jahre lang in den Archiven der Ex-DDR umgesehen und ist dabei auf schier unglaubliches Bildmaterial gestoßen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hatje Cantz Verlag, 2013
Format
Kartoniert
Seiten
128 Seiten
ISBN/EAN
978-3-7757-3620-6
Preis
16,80 EUR

Zum Buch:

Können Sie sich vielleicht noch an diese Yps-Hefte erinnern, die etwa ab 1975 auf den Markt kamen und die, in Zellophan eingeschweißt, jeden Monat einen neuen, schrägen Gimmick präsentierten wie z.B. Urzeitkrebse, Röntgenbrillen oder ganze Spionagesets? Jedenfalls musste ich gleich daran denken, als ich den Fotoband von Simon Menner, der über einen Zeitraum von zwei Jahren in den Archiven der „Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“, kurz BStU, recherchiert hatte, in die Hände bekam. Menner, der sich in erster Linie für Bildmaterial der Stasi interessierte, hatte, wie er im Vorwort schreibt, überhaupt nicht mit solch einer Fülle zum Großteil völlig unzensierter Fotos gerechnet. Fotos, die in der damaligen Zeit in der Hauptsache zu Schulungszwecken verwendet wurden.

Ein Witz, wenn man sich beispielsweise die Aufnahmen aus einem „Handbuch für Verkleidungsvarianten“ anschaut: immer der gleiche Mann, mal als Bauarbeiter mit Helm und Umhängetasche, mal als Geschäftsmann in Mantel und mit Aktenkoffer oder als westlicher Tourist in über den Knien abgeschnittenen Hosen, Sonnenbrille, Kamera vor dem Bauch und prall gefüllter Plastiktüte in der Hand. Mal mit aufgeklebtem Bart oder Schnauzer, mal ohne. Mal mit Perücke oder mit Hut. Am besten noch hat mir der Kerl gefallen, der mit Ledermütze, kariertem Hemd, Jeans und Sandalen mit seinem Rucksack vor einem Wegweiserschild an einer Landstraße zu sehen ist und betont lässig eine Bierflasche auf dem Knie balanciert. Soll das etwa ein Rocker sein? Hatten die in der DDR überhaupt Rocker? Und sahen die dann so aus? Ehrlich, ich glaube, wenn mir auf der Landstraße so ein Vollpfosten wie auf dem Foto entgegenkommen würde, ich würde mich entweder schlapp lachen oder eiligst Gas geben. Vermutlich beides.

Aber Moment, es geht ja noch weiter. In den Rubriken „Observation von Briefkästen“, „Heimliche Wohnungsdurchsuchungen“ oder „Das Übermitteln von geheimen Signalen“ findet sich noch der eine oder andere Spitzenreiter, und wenn man dann so durchblättert und dabei das Schmunzeln nicht mehr aus dem Gesicht bekommt, denkt man unweigerlich daran, wie wohl das entsprechende Fotomaterial einer staatlichen, also vom Bürger bezahlten Organisation wie der CIA, dem FSB oder dem BND aussehen würde. Spätestens dann fällt der Groschen und man sieht in den Witzfiguren das, was sie in Wirklichkeit waren: zukünftige Handlanger eines totalitären Regimes. Und daraufhin schaut man sich die Fotos ein weiteres Mal an – und dann ist da nichts mehr witzig.

Ohne Frage ist dies ein wichtiges Buch. Eine Dokumentation, die man gerne in einer umfangreichen, gut besuchten Ausstellung gesehen hätte. Es gibt auch nichts Vergleichbares, soweit ich das weiß. Eine Art Aufarbeitung. Ein Teil der Geschichte. Unglaublich. Aber leider wahr.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln